Eine Art Marathon
Am kommenden Sonntag bestreite ich den Graz-Marathon. Marathonläufer erkennt man mitunter nicht nur am Schuhwerk, sondern daran, dass sie gerne und ausschweifend vom Laufen erzählen: Welche Pace pro Kilometer sie laufen, auf welche Ernährung sie schwören, wie groß die Trainingsumfänge sind… Ich bin da nicht anders, werde das an dieser Stelle aber natürlich nicht machen. Was mir aber bei meinen Trainingsläufen durchaus auffällt ist, dass ich vielen Kindern dabei begegne. Spielende Kinder im Park, nicht immer gut gelaunte Kinder im Kinderwagen, lachende Kinder und weinende Kinder. Kinder sind im Stadtbild präsent.
Blickt man in die Bibel ist das nicht immer so: Auch über Jesu Kindheit findet man verhältnismäßig wenig. Klarerweise fällt uns die Weihnachtsgeschichte ein und dann vielleicht der 12-jährige Jesus im Tempel, aber sonst wird diese Periode in den Evangelien weitgehend ausgespart. Umso bemerkenswerter ist dann die Stelle im heutigen Evangelium, die wir möglicherweise schon bei der einen oder anderen Taufe gehört haben. Jesus stellt ein Kind in die Mitte und betont so die Wichtigkeit dieser oft nicht gesehenen Akteurinnen und Akteure in unserer Gesellschaft und vielfach auch in unserer Kirche.
Die Diözese Graz-Seckau hat sich in ihrem 2017 implementierten Zukunftsbild auf die Fahnen geheftet, gerade den oft nicht gesehenen Teilen unserer Gesellschaft eine Stimme zu geben, wenn es im dritten Punkt heißt: „Wir begegnen dem Geheimnis Gottes in der Liebe zu den Armen und Benachteiligten“. Es geht darum, als starke Stimme gegen Armut, jegliche Form von Unsolidarität und Diffamierung aufzutreten, für Themen rund um Armut zu sensibilisieren und aus der Begegnung mit Armut und mit unterschiedlichsten Menschen zu lernen – als Institution, aber auch jeder und jede Einzelne von uns.
Diese Überlegungen standen auch im Hintergrund, als im Jahr 2019 eine Gruppe von diözesanen Mitarbeitenden mit weiteren Playern aus unterschiedlichsten Sozialeinrichtungen die Wanderausstellung „Reichtum und Armut“ konzipierten. Insgesamt 3 Figuren mit 6 Silhouetten des Künstler:innen-Duos Jelena Ristic und Rainer Juriatti zeigen auf, wie verschwimmend die Grenzen von arm und reich sind. Dieser Paarlauf spiegelt sich auch in den Biografien wider, die diesen Figuren als Grundlage dienen. Diese Biografien erzählen Geschichten, die zum Nachdenken anregen. Geschichten, die zeigen, wie Arbeitslosigkeit, Armut oder Krankheit Schicksale prägen. Sie zeigen auf, wie schnell Brüche in einem Leben passieren können: Als Beispiel für diesen Paarlauf sollen die beiden Geschichten der 5-jährigen Julia dienen, die auch in der Broschüre zur Ausstellung nachgelesen werden kann:
Julia, 5 Jahre
Julia, Jelly, Jakob. Ihre Mama sagt, sie mag den Buchstaben J. Vor ein paar Tagen ist Julia fünf Jahre alt geworden. Von ihrer jüngeren Schwester hat sie einen abgenagten Farbstift bekommen. Ihr Bruder versteht das mit dem Geburtstagfeiern noch nicht.
Auch ihre Mama scheinbar nicht. Und ihr Papa sicher nicht, den kennt sie nur oberflächlich. Die Frau vom Jugendamt sagt, das wird schon. Auch das mit einem Kuchen zum Geburtstag, das klappe eines Tages. Da müsse Julia Geduld haben mit ihrer Mama. Julia weiß nicht, was das heißt.
Auch Julia, auch 5 Jahre
Als der dreijährige Bruder mit einem Geburtstags-geschenk vor Julias Bett steht, da weiß sie, dass es von Mama ist. Aber lieb ist es trotzdem. Der Papa singt und Mama hält eine Torte mit einer Sprühkerze in der Hand. Am Frühstückstisch bekommt Julia den Ehrenplatz.
Am Nachmittag feiert sie mit ihren Freundinnen aus dem Kindergarten. Die Emma von nebenan, die mag Julia am liebsten. Mit ihr geht sie bald in eine Privatschule. Aber zuerst kommt ja noch der Sommer. Drei Wochen davon verbringt die ganze Familie am Meer.
In den heutigen Texten spielen auch Engel eine zentrale Rolle. Blickt man in die Bibel haben Engel oft einen verkündenden Auftrag: Sei es bei Zacharias im Tempel, dem die Geburt seines Sohnes Johannes verkündet wird, bei Maria und dem Engel Gabriel sowie bei den Hirten auf den Feldern zu Weihnachten. Vielleicht haben ja auch die Figuren der Ausstellung eine verkündende Funktion: Sie weisen darauf hin, dass Armut ganz unmittelbar greifbar ist, zugleich aber auch ein strukturelles Thema ist, dass von Kirche und Gesellschaft angegangen werden muss. Neben der verkündenden Funktion haben Engel wie im Evangelium, aber noch stärker ausgedrückt im Lesungstext, eine schützende Funktion. Eine solche haben wohl auch die vielen ehrenamtlich und hauptamtlich Engagierten, die sich in unterschiedlichster Form für die Linderung verschiedenster Nöte einsetzen: Im Großen, aber auch im Kleinen, Alltäglichen – in der Nachbarschaft, aber auch hier in der Pfarre.
Ich hab keine Ahnung, wie es mir am kommenden Sonntag im Rahmen des Marathons ergehen wird. Aber vielleicht ist auch das Engagement für Armut, für eine gerechtere Mit- und Umwelt so eine Art Marathon, mit leichten Kilometern, aber wohl auch mit Passagen, die schwerer fallen, in welchen es auch Rückschläge zu verdauen gilt. Schön aber, wenn viele Menschen bei diesem Lauf für mehr Gerechtigkeit, Solidarität und Bewusstsein für Facetten der Armut in unterschiedlichster Form mitmachen. In diesem Sinne: Danke fürs Mitlaufen und gutes Verweilen bei den Figuren der Ausstellung.