Gott rettet unseren Glauben
Wer von Ihnen schreibt Tagebuch? - Ich habe das als Jugendliche sehr konsequent gemacht, mittlerweile mache ich das nicht mehr, sondern nehme mir immer wieder vor, endlich mein Tagebuch der Dankbarkeit zu beginnen...
Der kleine Prophet Habakuk im 7. Jhdt. v. Chr. schreibt nicht Tagebuch. Gott fordert ihn aber auf: “Schreib nieder, was du siehst, schreib es deutlich auf die Tafeln, damit man es mühelos lesen kann!” Was Habakuk aufschreibt, passt nicht in ein Tagebuch der Dankbarkeit. Er schreit um Hilfe zu Gott, weil er so viel an Unrecht, Gewalt, Misshandlung sieht. Hier kann nur noch Gott helfen, davon ist er überzeugt. Diese Hilfe lässt jedoch auf sich warten. In der Lesung erfahren wir davon gar nichts, nur der letzte Satz kann uns Hoffnung schenken: “der/die Gerechte aber bleibt wegen seiner/ihrer Treue am Leben.” Dieser Satz irritiert mich in doppelter Hinsicht: 1. klingt es sehr nach dem Tun-Ergehen-Zusammenhang, den wir vor allem im Ersten Testament finden. Danach geht es den Menschen gut, die Gottes Willen tun, die anderen sind für ihr Unglück selbst verantwortlich. 2. kündigt Gott nicht explizit eine Rettungstat an – es bleibt also vorerst nichts zu tun als zu warten, zu hoffen, zu glauben.
Gerade darin liegt meiner Meinung nach der Knackpunkt: In Zusammenhang mit dem Evangelium ist klar, dass es am heutigen Sonntag um den Glauben geht, der ganz eng mit dem Vertrauen verknüpft ist. Die Jünger*innen bitten Jesus: “Gib uns Glauben dazu!” , in unserer Übersetzung heißt es: “Stärke unseren Glauben!”. Beides kann ich gut gebrauchen. Gleichzeitig entlastet es mich, wenn ich mir nicht mit meinem Glauben etwas verdienen kann, auch nicht die Liebe Gottes – denn die schenkt sie mir ohne Vorleistung, und wenn ich Gott selbst bitten kann, dass mein Vertrauen in sie immer stärker wird.
Angesichts von Krieg, Naturkatastrophen, von Schicksalsschlägen in Familien, von schlimmen Diagnosen, von Lebensenttäuschungen, spüre ich immer wieder, dass mein Glaube so klein wird wie ein Senfkorn.
Beim Hoffnungsgottesdienst in St. Johannes vor einer Woche durfte ich wieder mal ein Senfkorn in die Hand nehmen. Der Durchmesser ist 1 bis 2 mm, das hat in Bezug auf meinen Glauben ganz gut gepasst. Doch dann ist mir wieder Viktor Frankl eingefallen, der im Alter von 35 Jahren ins Konzentrationslager kam. Das Buch, das er nach seiner Freilassung geschrieben hat, trägt den Titel: “Trotzdem JA zum Leben sagen.” Und er sagt: “Leben heißt letztlich eben nichts anderes als: Verantwortung tragen [...] für die Erfüllung der Aufgaben, die jedem einzelnen das Leben stellt.” (Viktor E. Frankl)
Diese Worte aus dem Mund eines KZ-Überlebenden geben mir Mut, es mit meinem kleinen Glauben trotzdem immer wieder zu versuchen. Nicht nur zu jammern oder zu verzweifeln an den Ungerechtigkeiten der Welt und im Leben, sondern ein bisschen so wie Habakuk zu sein: ich muss ja nicht alles genau aufschreiben, doch es ist wichtig, dass Unrecht benannt, dokumentiert wird, und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es irgendwann Menschen geben wird, die aus den Schrecklichkeiten und Fehlern der Geschichte auch lernen können. Auch wenn die Lesung heute “nicht gut ausgegangen” ist, finden wir in der Heiligen Schrift viele Zeugnisse von Menschen, die Gott gerettet hat. Das stärkt meinen Glauben, und auch wenn ein Senfkorn so winzig ist: der Senfbaum kann bis zu 3 Meter hoch werden. Amen.