Das Kreuz - ein Grund zum Feiern!
Wer das erste Mal in unsere Kirche kommt, wird meist von dem monumentalen Mosaik an der Altarwand in den Bann gezogen. Wir sehen das riesige Kreuz mit dem gehenkten Jesus, der uns mit offenen Augen anschaut. Wenn wir dieses Bild ernst nehmen, dann ist es schrecklich. Deswegen hängt es aber nicht da. Es will uns zeigen, was das Innerste unserer christlichen Glaubensüberzeugung ist. Wir glauben, dass der Gekreuzigte lebt, weil Gott ihn aus dem Tod gerettet hat. Er, der liebende und rettende Gott Israels, hat Jesus nicht hängen lassen.
Der heutige Festtag fällt aus dem traditionellen Rahmen der kirchlichen Feste. Am 13. September 335 wurde die „Anastasis“ – die Auferstehungskirche – wir sagen im Deutschen eher „Grabeskirche“ dazu – eingeweiht. Die Mutter des Kaisers Konstantin, Helena, hat sie erbauen lassen. Und am Tag nach der Kirchweihe – also heute am 14. September – hat der Bischof von Jerusalem ein großes Holzstück vom Kreuz Jesu den Gläubigen präsentiert, zur Verehrung erhoben. Was damals geschehen ist, hat sich in unserer Liturgie erhalten als Kreuzverehrung am Karfreitag.
Warum ist gerade das Kreuz zu dem bestimmenden Kennzeichen des Christentums geworden? Die archaische Erzählung von den Feuerschlangen in der heutigen Lesung und das Zitieren dieser Erzählung im Evangelium geben eine Antwort darauf. Diese Erzählung fängt eine Erfahrung des Volkes Israel bei der Flucht durch die Wüste ein. Ich denke nicht, dass Gott die Schlangen schickt, um sein Volk zu strafen. Was wäre das für ein grausamer und strafender Gott – absurd. Vielmehr können diese Schlangen ein Bild dafür sein, was sich in den Isaraelit:innen abgespielt hat. Sie haben ihr Vertrauen auf Gott verloren. Das Verhältnis zu ihm – und wahrscheinlich auch untereinander - ist vergiftet worden. Und das war tödlich! Gott rettet sie aus diesem Unglauben auf recht eigenartige Weise. Er nimmt nicht die Schlagen einfach weg, sondern lässt eine Schlange von Mose anfertigen, damit sie ihrem eigenen Elend in die Augen schauen müssen, ihrem Unglauben, dem mangelnden Vertrauen, dem Neid. Wer auf sein eigenes Elend schaut, auf seine Sündhaftigkeit - das ist der alte theologische Spezialausdruck für das mangelnde Vertrauen in Gott – und so zur Reue findet, wird geheilt. Hinschauen wirkt, wenn unsere inneren Augen aufgehen und wir mitfühlend werden für das Leiden der anderen, oder auch mitfühlend mit uns selbst, wenn wir die eigene Gottesferne entdecken. Die kupferne Schlange wirkt quasi „homöopathisch“. Wenn ich meine Angst und mein Elend mir genau vor Augen führe, dann wachsen meine inneren Widerstandskräfte, die Kräfte der Heilung.
Genauso ist es, wenn wir aufs Kreuz schauen. Da sehen wir, was die ungerechte und gottlose Gewalt, die wir uns gegenseitig antun, anrichtet. Nur wenn wir auf dieses Elend, das anderen angetan wird, hinschauen und uns davon berühren und herausfordern lassen und auch unsere eigene Schuld darin wiederfinden, dann können wir gerettet werden, hineingerettet werden in die Liebe, die uns wirklich und wirksam den Frieden bringen kann. Denn dann lassen wir uns Gottes heilende Zuwendung schenken und müssen nicht aus eigener Kraft vor ihm perfekt sein.
Schauen wir aufs Kreuz und auf den Gekreuzigten. Gott hat ihn nicht hängen lassen. Er will auch uns nicht hängen lassen und wird uns retten. Das ist unsere Hoffnung. Deswegen ist das Kreuz – nicht nur heute – ein Grund zum Feiern. AMEN!